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Eltern-Kino im Ludwigsburger Central Kino
„Jeder kann Opfer werden“ oder was Eltern über Cybermobbing wissen sollten
Zum Thema „Cybermobbing“ schauten sich Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihren Eltern den Film „LenaLove“ im Ludwigsburger Central-Kino an. Der Thriller von 2016 zeigt, wie sich aus Cybermobbing unter Jugendlichen ein unaufhaltsamer Teufelskreis entwickelt. Für alle Zuschauer ein idealer Einstieg, um über das Alltagsphänomen „Cybermobbing“ ins Gespräch zu kommen.
Viele Jugendlichen kennen in ihrem Bekanntenkreis jemanden, der schon Mal digital gemobbt wurde. Deshalb hat es sich die Initiative Kindermedienland zur Aufgabe gemacht, zur Prävention vor Cybermobbing beizutragen. Am 16. Mai wurde im Rahmen des Programms 101 Schulen und dem Eltern-Medienmentoren-Programm zusammen mit dem Sachsenheimer Lichtenstern-Gymnasium ein Cybermobbing-Tag durchgeführt. Am Nachmittag durften rund 90 Schülerinnen und Schüler den Film „LenaLove“ (Trailer auf YouTube) aus dem Jahr 2016 anschauen und an einem Cybermobbing-Workshop teilnehmen. Am Abend wurde der Film und der Workshop für die Eltern angeboten. Das Ziel: Eltern und Kinder mithilfe des Films an einen Tisch zu bringen, um über das komplexe Thema „Mobbing“ reden zu können.
Die Location für diese Veranstaltung war etwas ganz besonderes: statt in der Schulaula wurde der Film im 106 Jahre alten Ludwigsburger Central-Kino gezeigt. Kinobetreiber Claus Wollenschläger ist nämlich von filmpädagogischer Arbeit überzeugt und öffnete deshalb einen Kinosaal für diese spezielle Veranstaltung. Der heutige Cybermobbing-Workshop war für ihn etwas Neues. „Das Konzept, mit Eltern und Kinder einen Film anzuschauen und darüber zu reden, hat mir super gefallen. Es ist genau das aufgegangen, was wir wollten“ schwärmt er nach der Vorführung.
„Was würden Sie tun - zur Schule gehen?“ oder was Cybermobbing mit einem macht
Vor der Filmvorstellung am Abend haben die Eltern an einem kurzen Cybermobbing-Workshop mit der LMZ-Referentin Anke Ebner teilgenommen. Die Ausbildnerin für Lehrkräfte und Fortbildnerin zum Thema Prävention empfängt die Kinobesucher am Eingang mit Stiften und Kärtchen. Die Eltern sollen anonym Beleidigungen auf Kartonzettel schreiben. Wenig später sitzen 100 Erwachsene im abgedunkelten Kinosaal und werden plakativ ins Thema eingeführt. „Stellen Sie sich vor Sie sind 14 Jahre alt. Es ist Montagmorgen, noch vor dem Frühstück und Sie schalten Ihr Smartphone an. In Ihrem WhatsApp-Verlauf lesen Sie die folgenden Beschimpfungen.“ Ein Freiwilliger wird gebeten, die vorher verfassten Beleidigungen vorzulesen. Im Saal herrscht Totenstille. „Was geht Ihnen durch den Kopf? Was durch den Bauch? Was würden Sie tun – zur Schule gehen?“ fragt Anke Ebner die Eltern. Die geraten ins Grübeln.
Cybermobbing: wo fängt Mobbing überhaupt an?
In der kommenden halben Stunde lernen die Eltern die wichtigsten Punkte zum Thema Cybermobbing kennen. Nach den Erfahrungen von Anke Ebner wird der Begriff „Mobbing“ inflationär benutzt. Von „Mobbing“ ausgehen kann man erst, wenn eine Person über einen längeren Zeitraum, von mehreren Personen angegriffen und ausgegrenzt wird. Dann ist zur Lösung die Hilfe Außenstehender notwendig. Im Vergleich zu Konflikten, bei denen sich zwei Parteien gegenüberstehen, „steht bei Mobbing einer am Ende alleine da“ erklärt Anke Ebner.
Wie Schulen auf Mobbing reagieren können
Mobbing zu bekämpfen stellt für Schulen eine ganzheitliche Aufgabe dar. Anke Ebner erklärt, dass Schülerinnen und Schüler an Schulen befähigt werden müssen, Konflikte selbst zu lösen. Als probates Mittel haben sich sogenannte Streitschlichter bewährt, die in der Schule ausgebildet werden, oder auch ein Klassenrat. Diese können Konflikte frühzeitig erkennen und rechtzeitig eingreifen. Leider erkennen Lehrkräfte Mobbing häufig zu spät, da Mobber geschickt aus dem Hintergrund agieren. Mitläufer, die z. B. mal den Schulranzen eines Mitschülers ausleeren oder zuschlagen, sind schneller erkennbar, werden aber als Einzelfälle abgetan. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Betroffene oft Angst davor haben, sich Hilfe bei Erwachsenen zu holen. Diese Angst sei oftmals nicht unbegründet, betont Anke Ebner, denn nach ihrer Erfahrung „reagieren Eltern und Lehrer zu schnell und leider häufig kopflos“, was die Gesamtsituation eher verschlimmert.
Nur mit Täter und Opfer zu arbeiten ist vergebene Mühe
Um die eigentlichen Täter bildet sich in jeder Klasse eine Gruppe von Mitläufern. Diese haben Angst, selbst zu Betroffenen zu werden. „Wenn man aus der Klasse einen Täter entfernt, wird schnell ein anderer zum Täter. Wenn man das Opfer rausnimmt, wird schnell jemand anderes Opfer“, berichtet die Referentin. Nur mit Tätern und Opfern zu arbeiten, ist daher wenig zielführend. „Untersuchungen zeigen, dass zwei Drittel aller Täter früher selbst Opfer waren“ klärt Anke Ebner auf. Sie verfolgt deshalb den Ansatz mit der gesamten Klasse zu arbeiten, um die gesamte Gruppenatmosphäre zu verbessern.
„Jeder kann Opfer werden“
Anke Ebner fragt die Zuhörer, woran man das typische Opfer erkennt. Die Antworten der Eltern lauten: „Streber“, „Außenseiter“, „Introvertierte“ oder „Jugendliche mit Wahrnehmungsstörungen“. Die Realität sieht anders aus: „Die Münchner Forscherin Mechthild Schäfer hat versucht gemeinsame Merkmale von Mobbing-Opfern zu analysieren und fand heraus, dass es keine gemeinsamen Merkmale gibt,“ sagt Anke Ebner die Zuhörer auf. Sie will klarmachen, dass es nicht das typische Opfer gibt. „Jeder kann Opfer von Mobbing werden.“ Ein Merkmal haben aber dennoch Opfer gemein und keiner ist davor gefeit: Momente der Schwäche. „Das kann nach einer Krankheit sein oder nach einem Schulwechsel. Das sind Zeiträume in denen Kinder besonders angreifbar sind“, beschreibt Anke Ebner die Situation. Durch die digitalen Medien kommen beim Mobbing noch weiter Aspekte hinzu: die Anonymität der Beleidigungen sowie der Eingriff in den privaten Raum. Anders als beim „klassischen Mobbing“ trifft Cybermobbing die Betroffenen im geschützten Raum des Zuhauses. Da die digitale Welt koexistiert, können Betroffene davor nicht mehr flüchten.
Der Film
„LenaLove“ erzählt von der 16-Jährigen Lena, die an ihrer Schule ein Außenseiterleben führt. Mit ihrer besten Freundin Nicole, die nun lieber mit Stella unterwegs ist, hat sie sich verkracht. Aus Einsamkeit flüchtet sie sich in eine mysteriöse Internetbekanntschaft mit „Noah“ – ohne zu ahnen wer hinter dem Profil steckt. Doch auch auf den rebellischen Mitschüler Tim hat Lena ein Auge geworfen. Tim, der nachts Graffiti sprayt und Lena, die aus Fotos Collagen bastelt, entdecken ihre Gemeinsamkeiten und kommen sich näher. Die hoffnungsvoll erscheinende Freundschaft nimmt ein rasches Ende als Lena auf einer Party Tim eng umschlungen mit ihrer ehemals besten Freundin Nicole erwischt. Ein Drama aus Eifersucht, Gewalt und Drogen nimmt seinen Lauf.
Die Hauptbotschaft von „LenaLove“: Cybermobbing ist kaum aufzuhalten
„LenaLove“ handelt von Freundschaft, kaputten Familien, Rebellion und Erwachsenwerden. In der 95-minütigen immer mehr eskalierenden Handlung bekommen Zuschauer vor allem eine Botschaft vermittelt: dass Cybermobbing schnell aus dem Ruder laufen kann und dann schwer aufzuhalten ist. Betroffen macht im Film auch das Verhalten der Eltern der Konfliktparteien. Zu sehr mit den eigenen Problemen beschäftigt oder selbst von Neid und Erfolgsgier getrieben, bringen sie die Mobbing-Lawine noch weiter ins Rollen. Am Ende sind es die Jugendlichen, die den großen Scherbenhaufen beseitigen müssen.
Die unterschwellige Botschaft funktioniert. Als Anke Ebner nach dem Film wissen will, was den Eltern durch den Kopf geht, beschreibt eine Zuschauerin „dass aus einem ganz kleinen Anfang ein riesengroßes Rad werden kann“. Dass wie im Film ein Konflikt zwischen zwei ehemaligen Freundinnen ausbricht, laut Anke Ebner „ganz klassisch“. Auch der Plot, dass die Eltern den Konflikt noch weiter zuspitzen, kennt sie aus der Realität. Dass Eltern der Konfliktparteien zu einer Lösung finden, ist nach ihrer Erfahrung ein Trugschluss. Auch der Versuch, die Polizei einzuschalten „hilft der Klasse nicht weiter“. Dies macht nur ab einer bestimmten Eskalationsstufe Sinn. Stattdessen plädiert Anke Ebner für einen „No-Blame-Approach“ – ein Ansatz der ohne Schuldzuweisungen (blame) funktioniert und besonders für alle Altersstufen geeignet ist. Bei „No-Blame“ wird mit der gesamten Klasse gearbeitet und Täter, Mitläufer und Betroffene gleichermaßen ins Boot geholt.
Die Reaktionen
Ein Vater will nach dem Film wissen, warum „Fachleute so eine massiv krasse Darstellung auswählen, um so ein Thema zu bearbeiten“. Er wünscht sich, dass Filme gezeigt werden, die zeigen wie man mit Konflikten konstruktiv umgeht. Reinhart Gronbach, Schulleiter des Sachsenheimer Lichtenstern-Gymnasiums, bestätigt, dass „der Film betroffen macht“. Gleichzeitig findet Reinhart Gronbach, dass so ein Film eine gute Vorlage zum Gespräch bietet. So regt er die anwesenden Lehrkräfte und Eltern an, Zeit in der Schule und den Familien zu finden, um über den Film zu reden.
Fazit: Zeit nehmen, darüber sprechen
Reinhart Gronbach meint:„Elternarbeit mal im Kinosaal statt im Klassenzimmer – dieses Setting ist schon was ganz Besonderes.“ Auch von der Unterstützung des Landesmedienzentrums schwärmt er: „Die Lehrkräfte müssen so viele Dinge machen. Wenn man Experten, wie Anke Ebner dazu holt, die einem den Horizont erweitern und eine gute Gesprächsführung mit Eltern beherrschen, dann ist das für die Schule ein riesen Zugewinn.“
Claus Wollenschläger vom Central-Kino zum Schluss: „Die Eltern soll der Film natürlich wachrütteln. Sonst reden die nicht drüber und vergessen es ganz schnell. Wir wollen auch keine nickenden Eltern haben, die das unreflektiert wegstecken, sondern im Konsens darüber diskutieren und davon lernen.“ Deshalb haben Claus Wollenschläger und die Eltern-Medienmentorin Stefanie Mengler am Lichtenstern Gymnasium eine Eltern-Initiative gegründet, die auf Menglers Konzept medienpädagogischer Elternbildung als Baustein einer gelingenden Erziehungs- und Bildungspartnerschaft von Eltern und Schule basiert. Die vielfältigen Eltern-Angebote des Programms reichen dabei von LAN-Party bis hin zu Workshops und werden in Kooperation mit dem Landesmedienzentrum oder in Eigenregie durchgeführt und wissenschaftlich evaluiert werden. Pilotveranstaltung war das gemeinsam mit dem LMZ organisierte Eltern-Kino.
Das Landesmedienzentrum bietet mit seiner Medienpädagogischen Beratungsstelle Eltern und Lehrkräften Rat und Unterstützung zum pädagogischen Jugendmedienschutz. Dazu zählt auch Beratung zum Thema „Cybermobbing“. Sie ist montags bis donnerstags von 9 bis 16 Uhr und freitags von 9 bis 12 Uhr unter (0711) 2850-777 erreichbar.
Der Workshop im Ludwigsburger Central-Kino wurde im Rahmen des Kindermedienland-Programmes „101 Schulen“ sowie des „Eltern-Medienmentoren-Programmes“ durchgeführt. Um Jugendlichen und Eltern beim sinnvollen Umgang mit Medien zu unterstützen, bietet das Programm 101 Schulen verschiedene Veranstaltungsformate an. Die einzelnen Veranstaltungen haben unterschiedliche Praxisanteile, wobei die Veranstaltungen für Schülerinnen und Schüler grundsätzlich praxisorientiert angelegt sind. Die Workshops werden an alle Schularten, Klassenstufen und Zielgruppen, bei Bedarf mit internationalen oder inklusiven Settings, angepasst, sodass die für die Schülerinnen und Schüler interessantesten Aspekte der Themengebiete im Vordergrund stehen.
Die Landesregierung setzt sich mit der Initiative „Kindermedienland Baden-Württemberg“ unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Winfried Kretschmann dafür ein, die Medienkompetenz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Land zu stärken. Mit dem „Kindermedienland Baden-Württemberg“ werden zahlreiche Projekte, Aktivitäten und Akteure im Land gebündelt, vernetzt und durch feste Unterstützungsangebote ergänzt. So wird eine breite öffentliche Aufmerksamkeit für die Themen Medienbildung und -erziehung geschaffen. Träger und Medienpartner der Initiative sind die Landesanstalt für Kommunikation (LFK), der Südwestrundfunk (SWR), das Landesmedienzentrum (LMZ), die MFG Baden-Württemberg, die Aktion Jugendschutz (ajs) und der Verband Südwestdeutscher Zeitungsverleger (VSZV).